- Siegel: Bildmotive und Schrift der Hethiter
- Siegel: Bildmotive und Schrift der HethiterSchon in dem jüngeren Abschnitt der Karumzeit nahm die Verwendung von Stempelsiegeln anstelle der in Mesopotamien üblichen Rollsiegel in Anatolien deutlich zu. Dabei entstanden regionale Unterschiede in der Auswahl der Siegelbilder. In Kültepe und auch in Hattusa bevorzugte man Siegel mit der Darstellung einzelner Figuren (Tiere, Doppeladler) oder von Tiergruppen. Die Funde aus Acemhöyük bei Aksaray und Karahüyük bei Konya zeigen eine besonders reich entwickelte Stempelglyptik - meist sind allerdings nur die Abdrücke der Siegel auf Tonklumpen erhalten. In Karahüyük waren besonders Siegelbilder beliebt, die in einem oder mehreren äußeren Ringen reich entwickelte Flechtbänder oder Spiralmuster aufweisen; im Mittelfeld finden sich einzelne Tierfiguren oder Tierköpfe. Manche dieser Motive mögen symbolische Bedeutung gehabt haben, wirkliche Schriftzeichen gibt es in dieser Zeit aber anscheinend noch nicht. Diese Art von Stempelsiegeln wurde auch noch nach dem Ende der Karumperiode hergestellt; sie leitet über zu der Glyptik der althethitischen Zeit, in der die kreisförmigen Schmuckbänder gerne in mehrere unterschiedlich gestaltete Abschnitte gegliedert werden und in der im Mittelfeld Zeichen auftreten, die in die hethitische Hieroglyphenschrift übernommen wurden. Diese Zeichen sind zunächst eher Glückssymbole, erst etwas später dienen sie dazu, den Namen des Siegelinhabers wiederzugeben. Bei einer Anzahl von Siegeln der althethitischen Zeit wird das umlaufende Zierband durch eine figürliche Darstellung ergänzt oder ganz ersetzt. Diese Art Siegel kommt in der Zeit auf, in der Hieroglyphen allmählich an die Stelle der Symbolzeichen im Mittelfeld des Siegelbildes treten, sie setzt sich bis in die beginnende Großreichszeit fort. Solche Siegel bieten Platz für ausführlichere Darstellungen, wie sie sonst nur bei Rollsiegeln möglich sind.Gelegentlich finden sich auch in der althethitischen Zeit Siegel, die statt der Symbole oder Schriftzeichen im Mittelfeld bildliche Darstellungen aufweisen. Eines der schönsten Beispiele knüpft in der Darstellung einer thronenden Göttin unmittelbar an die Tradition der Karumzeit an. Bei einem zweiten, vielleicht schon etwas jüngeren Beispiel sind zwei der wichtigsten Gottheiten einander gegenübergestellt: der eine Waffe schwingende Wettergott und die sich entschleiernde Liebesgöttin. Zu dieser Darstellung finden sich in der schon etwas älteren Glyptik Syriens zahlreiche Parallelen; das Siegel könnte deshalb im Grenzbereich beider Kulturen entstanden sein.Vermutlich hier im Südosten Kleinasiens wurden in der beginnenden althethitischen Zeit auch Versuche unternommen, die Vorteile des Rollsiegels und des Stempels miteinander zu verbinden. Solche Siegel besitzen - ähnlich wie andere Stempel - einen kegelförmigen, manchmal facettierten Griff mit einem quer durchbohrten Knauf; die Bodenfläche des zylindrischen Siegelkörpers diente als Stempel. Zusätzlich kann das Siegel aber auch abgerollt werden, da auf dem Mantel weitere Darstellungen eingeschnitten waren. Ein frühes Beispiel zeigt als Abrollung ein kompliziert verschlungenes Flechtband ähnlich dem der Stempelsiegel. Bei dem wohl etwas jüngeren, nach einem Sammler so benannten Tyskiewicz-Siegel werden sowohl die Stempelfläche als auch die komplizierte, figurenreiche Darstellung des Siegelmantels von Zierbändern gerahmt. Die Köpfe im Mittelfeld des Stempelbildes erinnern an Darstellungen auf einigen der Siegel aus Karahüyük. Die Abrollung des Siegelmantels zeigt zahlreiche Götterfiguren, deren Ikonographie Verbindungen zur altsyrischen Rollsiegelglyptik des frühen 2. Jahrtausends erkennen lässt.Die ältesten Königssiegel der Hethiter finden sich auf einem ganz bestimmten Typ von Tontafeln, den Landschenkungsurkunden. Das Siegelbild besteht hier aus einem Mittelfeld, das eine Rosette und bei den frühesten Beispielen auch noch Glückssymbole enthält, sowie einem doppelten Ring von Keilschriftzeichen. Im äußeren Ring stehen die Titulatur und - außer bei den ältesten Beispielen - der Name des Herrschers, im inneren Ring eine Strafandrohung für jeden, der die (gesiegelte) Urkunde verfälscht. Diese Siegel wurden demnach nur für einen ganz bestimmten Zweck verwendet.Mit dem Beginn des hethitischen Großreichs entwickelte sich ein neuer Typ von Königssiegeln, der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts - unter Suppiluliuma I. - voll ausgebildet erscheint. Auch diese Siegel weisen eine Keilschriftlegende auf, die fast immer einen doppelten Ring um die Innenfläche bildet. In dieser erscheint die »Ädikula«, eine formalisierte Schreibung des Herrschernamens: Unter einer Flügelsonne bilden rechts und links die Zeichen für »Großkönig« den Rahmen für die senkrecht untereinander angeordneten Hieroglyphen, mit denen der Name geschrieben wird. Diese Grundform kann in verschiedener Weise abgewandelt werden. Zum einen gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass neben dem Herrscher auch die Königin namentlich genannt wird; in diesem Fall stehen beide Namen senkrecht nebeneinander und das eine Zeichen für »Großkönig« wird durch das Zeichen für »Großkönigin« ersetzt. Auch Siegel, die nur den Namen der Großkönigin enthalten, sind bekannt.Besonders Tutchalija IV. und sein Sohn Arnuwanda III. gestalteten dann die Ädikula reicher aus, indem sie den Königsnamen statt mit phonetischen Zeichen durch die Figur eines Berggottes mit hinzugefügten phonetischen Elementen darstellten; dies war möglich, weil beide Königsnamen ursprünglich heilige Berge bezeichneten. Bereits unter Muwatalli II. entstanden auch Königssiegel mit szenischen Darstellungen. Die bekanntesten sind die »Umarmungssiegel«: Der Wettergott des Himmels, der durch eine Namensbeischrift über dem ausgestreckten Arm ausdrücklich so bezeichnet wird, legt seinen Arm um die Schulter des Königs und fasst dessen Hand. Solche Siegel sind auch noch unter Mursili III. hergestellt worden; für die Zeit Hattusilis III. sind sie durch die in Ägypten überlieferte Beschreibung der Vertragsurkunde bezeugt, die den Text des zwischen dem Pharao und dem hethitischen Großkönig abgeschlossenen Friedensvertrages enthielt. Von Tutchalija IV. stammt außer dem Abdruck eines gewöhnlichen Siegels dieses Typs eine besonders prächtige Ausführung: Hier steht dem Gott, der den König in den Arm nimmt, auf der anderen Seite der Ädikula die Sonnengöttin gegenüber.Eine bisher einmalige Ausgestaltung der bildlichen Darstellung zeigt ein Stempel des Mursili: Hier wurde die Ädikula zum rechten Rand hin verschoben, in der Mitte des Bildes setzt der Wettergott ein Bein auf einen von Stieren gezogenen, einachsigen Wagen, dessen Kasten in Form eines Adlers gestaltet ist - ein Motiv, das man auch von einem Felsrelief und von (jüngeren) Orthostaten kennt. Hinter dem Wagen steht eine männliche Figur in Göttertracht, die einen Bogen schultert und in der vorgestreckten Hand eine Lanze hält; in ihr muss man wohl den Herrscher sehen.Die schon von Suppiluliuma I. eingesetzten Vizekönige von Karkemisch - das Amt wurde in einer Nebenlinie des Herrscherhauses weitervererbt - haben sich Siegelstempel herstellen lassen, die ganz in der Tradition der Großkönigssiegel stehen, die aber in der Titulatur korrekt auf die Bezeichnung »Großkönig« verzichten; sogar das wohl erst nach dem Ende des Großreichs entstandene Siegel des Kuzi-Teschup nennt ihn nur König von Karkemisch. Die Vizekönige von Karkemisch gebrauchten neben den Stempelsiegeln aber auch Rollsiegel, offenbar in Anlehnung an die syrische Tradition. Die Bilder dieser Siegel spiegeln ganz die hethitische Ikonographie wider. Abrollungen solcher Siegel wurden in Ugarit und in Emar auf offiziellen Dokumenten gefunden, durch die den einheimischen Herrschern Entscheidungen des hethitischen Königshauses bekannt gemacht wurden. Die Siegel weisen Keilschriftlegenden auf, die Namen, Titulatur und Vatersnamen nennen; diese sind, wie in Mesopotamien bis zur Mitte des 2. Jahrtausends üblich, in senkrecht verlaufenden Zeilen geschrieben, mit denen die Bildfläche begrenzt wird. Ein Siegel des Talmi-Teschup zeigt den Wettergott, neben dem der Name des Königs in senkrecht untereinander stehenden Hieroglyphen zwischen dem symmetrisch verdoppelten Königszeichen geschrieben steht; die Anordnung erinnert an die Ädikula der Großkönigssiegel. Auf einem Siegel des Ini-Teschup ist zwischen Flechtbändern am oberen und unteren Siegelrand eine wesentlich komplexere Szene mit dem Wettergott und dem vor ihm stehenden Herrscher dargestellt.Wettergott und Sonnengott erscheinen zusammen mit dem Herrscher auch auf einem Siegel, das nicht einem der Könige von Karkemisch, sondern einem hochgestellten Beamten gehört hat. Der Beamte trägt einen rein ägyptischen Namen - ein Zeichen für die Vielzahl von Beziehungen, die in dieser Zeit zwischen den Großreichen Vorderasiens bestanden. Dieses und andere Siegel zeigen, dass sich manche der Funktionäre am Hof von Karkemisch nach dem Vorbild der Vizekönige Rollsiegel schneiden ließen, während die Prinzen und Beamten in der Hauptstadt Hattusa Stempelsiegel verwendeten, die außer einzelnen Götter-, Menschen- oder Tierfiguren hauptsächlich Hieroglypheninschriften trugen.Verhältnismäßig selten hat es neben Stempel- und Rollsiegeln auch Siegelringe gegeben, deren auf einer Seite verbreitertes Band bei dem Abrollen des Fingers eine länglich-ovale Bildfläche ergab. Das schönste Beispiel dieser Gattung zeigt die kriegerische Schauschka auf einer Sphinx stehend, flankiert von zwei Löwen.Nach dem Ende des hethitischen Großreichs verlor das Siegel als Gattung der hethitischen Bildkunst rasch an Bedeutung; aus dem Bereich der späthethitischen Staatenwelt sind uns keine Beispiele mehr bekannt.Prof. Dr. Winfried Orthmann
Universal-Lexikon. 2012.